Ausschreibung und technisches Konzept der Ge 4/4 82
Anforderungen und Ausschreibung der Berninabahn. Sécheron sticht Konkurrenz mit Innovation und Kreativität aus.
Auszug aus Artikel in "Elektische Bahnen, Zentralblatt für den elektrischen Zugbetrieb" Heft 8, erschienen im August 1928. Verfasser: Dipl. Ing. A. E. Müller, Genf:
[....] ist die Vorgeschichte des Entwurfs von Bedeugung, weshalb kurz darauf eingegangen werden soll. Die Bahngesellschaft hatte für die im Jahr 1926 beschlossene Neuanschaffung eine Drehgestell-Lokomotive mit 4 angetriebenen Achsen in Aussicht genommen, wobei die Maschine neben dem Dienste als Personen- und Güterzuglokomotive insoderheit auch zur Ausführung von Schneepflugfahrten im Winter und als Schiebelokomotive für die Dampfschneeschleudern Verwendung finden soll. Damit die wirtschaftlichen Fahrgeschwindigkeiten von 20, 10 und 5 km/h erzielt werden können, war vorgesehen, jedes Drehgestell mit zwei Zwillingsmotoren auszurüsten, deren jeder eine Achse antreibt. Um der Gefahr des Rädergleitens bei ganz langsamen Schleuderfahrten (etwa 5 km/h) in Serieschaltung aller vier Einzelmotoren (1 Einzelmotor = 1/2 Zwillingsmotor) eines Drehgestelles vorzubeugen, sollten die beiden Drehgestellachsen durch einfache Kuppelstangen miteinander verbunden werden.
Den von den Konstruktionsfirmen nach diesen Richtlinien vorgeschlagenen Lösungen mit reinem Stangenantrieb mit doppelter Zahnradübersetzung bzw. Einzelantrieb mit Kupplung der Drehgestellachsen stellte die S.A. des Ateliers de Sécheron in Genf auf Grund ihrer Erfahrungen mit Einzelachsantrieb-Lokomotiven mit Federantrieb für kleine Triebraddurchmesser das Projekt einer reinen Einzelachsantrieb-Lokomotive Type AA+AA gegenüber, bei welcher schon auf der geringsten Geschwindigkeitsstufe von etwa 5 km/h die hinsichtlich Schienenreibung günstigste Parallelschaltung aller vier Triebmotoren vorgesehen war.
Verbunden mit der Anwendung der Brückenschaltung für den Übergang ohne Zugkraftverminderung von einer Geschwindigkeitsstufe auf die nächste, war damit eine Lösung gefunden, welche gestattete, die Kuppelstangen zwischen den Achsen eines Drehgestelles wegzulassen ohne dass deshalb beim Schleudern einer Triebachse die Zugkraft der übrigen Achsen vermindert wird, wie dies bei der ursprünglich in Aussicht genommenen Anordnung mit Serieschaltung der Motoren der Fall gewesen wäre.
Das Sécheron-Projekt wurde denn auch von der Bahngesellschaft als die technisch und wirtschaftlich beste Lösung anerkannt und der Genfer Firma der Auftrag erteilt.
Die weiteren massgebenden Daten und Bedingungen für den erwähnten Entwurf waren folgende:
Spurweite 1 m
Max. stat. Achsdruck 11 t
Max. Fahrgeschwindigkeit 50 km/h
Elektrisches Betriebssystem Gleichstrom
Fahrdrahtspannung im Mittel 800 Volt, im Maximum 1100 Volt, im Minimum 550 Volt
Die Lokomotive soll imstande sein, ein Anhängegewicht von 47 t auf der Höchstneigung von 70 0/00 bei einer mittleren Fahrdrahtspannung von 800 Volt mit 20 km/h dauernd zu fördern. Die Motoren und Apparatur sollen unter Zugrundelegung der Vorschriften "R.E.B." 1925 so dimensioniert sein, dass bei einer, einem heissen Sommertage entsprechenden Aussentemperatur mit dem genannten Anhängegewicht 4 Fahrten auf der Strecke Poschiavo - Grüm-Poschiavo (33 km; durchweg 70 o/oo Neigung) mit je 5 Minuten Umschlagszeit auf den Endstationen und daran anschliessend eine Fahrt Poschiavo-Pontresina-Poschiavo (75,6 km; mit Ausnahme von 10 km mit 37 o/oo Neigung, durchweg 70 o/oo Neigung) und ferner bei jeder Bergfahrt an beliebiger Stelle der Strecke auf 70 o/oo je 5 Anfahrten aus dem Stillstand ausgeführt werden können. Die Triebmotoren sollen so bemessen sein, dass bei der Talfahrt das ganze Lokomotivgewicht mit der Widerstandsbremse dauernd abgebremst werden kann. Die Maschine soll eine max. Anzugskraft am Radumfang von 12 800 kg entwickeln (entsprechend einem Schienenreibungskoeffizienten von 0,29) und auf der Steigung von 70 o/oo und in Kurven von 45 m Radius mit der Anhängelast von 47 t sicher anfahren und in rd. 75 s auf die Geschwindigkeit von 20 km/h gebracht werden können.
Verlangt war ferner die Anbringung je eines schweren Schneepflugs vorn und hinten, wie solche von der Bahngesellschaft bis anhin auf besonderen zweiachsigen Fahrzeugen mit gutem Erfolg angewendet wurden. Der Lokomotivkasten sollte neben dem Führerstand noch einen Raum für 12 bis 15 Arbeiter, sowie Schneeräumungswerkzeuge erhalten. An Bremsen waren vorgeschrieben:
- Hardy-Vakuum-Bremse mit Sonderbrems-Einrichtung für die Lokomotive
- Handbremse auf beide Drehgestelle wirkend.
- Elektrische Widerstandsbremse als Betriebsbremse.
- Elektro-magnetische Schienenbremse, als Notbremse.
Der allgemeine Aufbau und die Hauptdaten der auf genannter Grundlage von der S.A. des Ateliers de Sécheron (Elektrischer Teil) und der Schweiz. Lokomotivfabrik, Winterthur (Mechanischer Teil) ausgeführten Lokomotive Nr. 82 sind auf der Planskizze [siehe hier] und in nachstehender Tabelle gegeben:
Länge über Puffer 14 400 mm
Totaler Radstand 10 000 mm
Radstand der Drehgestelle 2 200 mm
Grösste Höhe im Dachaufsatz 3 740 mm über S.O.
Grösste Breite 2 500 mm
Triebraddurchmesser 975 mm
Zahnradübersetzungsverhältnis 1 : 7
Gewicht des mechanischen Teils,
einschl. Vakuumbremse, Motor-Kompressor
und Schneepflüge 26 120 kg
Gewicht des elektrischen Teiles,
einschl. Hohlwellenantriebe und
Schienenbremse 17 280 kg
Ausrüstung (Besetzung, Sand, Werkzeuge) 600 kg
Dienstgewicht (Reibungsgewicht) 44 000 kg
Totale Stundenleistung am Radumfang
bei 800 V und 16 km/h 600 kg
Totale Dauerleistung am Radumfang
bei 800 V und 20 km/h 500 PS
Max. Anfahrzugkraft am Radumfang 12 800 kg
Fortsetzung folgt
weiter zur
- Ausschreibung der BB und technisches Konzept
- Fotos 1928 - 1946: Bau, Inbetriebnahme und Betrieb der BB 82
- Sonderzug 1976
- 2010: Die 182 fährt wieder!
- Korrektur falscher Aussagen zum Aufenthalt in Frankreich
- 2018: 90 Jahre Bernina-Krokodil
zurück zur Übersicht und Geschichte Ge 4/4 82