Cavagliasco Schlucht
Die Streckenwahl von Poschiavo nach Cavaglia besorgte den Bahnbauern grosses Kopfzerbrechen. Unbedingt musste das sehr lawinengefährliche Val Varuna vermieden werden, anderseits brauchte es für die Bewältung der Höhendifferenz genügend Raum für die Streckenentwicklung. So entschied man sich, trotz der schwierigen geologischen Situation, die zwar lawinenfreie, aber wild zerklüftete und sehr steile Cavagliasco Schlucht zwei Mal zu queren und die Richtung in einem Kehrtunnel zu ändern.
Der Geländeeinschnitt ist geologisch so ausgeprägt, dass er für den Bau der Brücken und Tunnel besonders hohe Anforderungen stellt Wasserführendes Losegestein, durchsetzt mit grossen Findlingen sowie auch sehr harter Augengneis, dazu noch ein starker Bergdruck. So musste 1968 der kurze obere Tunnel abgetragen und später zuerst die oberere Cavagliasco-Brücke nach vielen Reparaturen und einem jahrelangen Provisorium neu gebaut und danach die untere Brücke ebenfalls ersetzt werden. Der selbe Bergdruck verformte übrigens auch den Val Pila Viadukt oberhalb Cavaglia, welche auch unter grossem Aufwand repariert werden musste.
Das starke Gefälle von rund 600 Metern wird seit 1910 für die Stromerzeugung genutzt. Die weiss gepunktete Linie zeigt den Verlauf der Wassers, das in Puntalta bei Cavaglia (nicht sichtbar) gefasst und in der Druckleitung der Centrale Robbia im Talboden für die Stromerzeugung zugeführt wird. Der Strom wurde damals hauptsächlich in die Industriemetropole Milano geliefert, was ab Campocologno eine über 130 km lange Freilandleitung erforderte. Das bisschen Verbrauch der paar Berninabahn-Triebwagen war nicht relevant für den Business Case. Aber ohne die Kraftwerke Brusio wäre die Berninabahn nicht gebaut worden.
Auf dem oberen Bild sieht man die ausgetrocknete Cavagliasco Schlucht mit den beiden eingezeichneten Brücken.
Die Bahn ändert ihre Richtung in einem Kehrtunnel, dessen Radius von 60 m und das enge Profil bis heute einen der limitierenden Faktoren für freizügigen Fahrzeugeinsatz auf der Berninalinie darstellt.
Die Dichte der Kunstbauten auf sehr kurzer Strecke ist aussergewöhnlich (von Norden nach Süden, also von 'oben nach unten'):
- Unterer Caderaviadukt (Lehnenvidaukt), 28 m
- Cavagliasco Tunnel I, 32 m
- Obere Cavagliasco Brücke, Spannweite 33 m
- Kehrtunnel Balbalera, Länge 122 m
- Untere Cavagliasco Brücke, Spannweite 36 m
- Cavagliasco Tunnel II, 20 m
- Lehnenviadukt, 9m
Unterer Caderaviadukt
Quelle: SBZ
Geschafft, der Cavagliasco-Bach ist bezwungen! Als erste der beiden Übergänge ist die obere Cavagliasco-Brücke fertig eingewölbt. Stolz posieren die italienischen Arbeiter und die Bauleitung (Mitte) über dem schäumenden Bach.
Die beiden Brücken wurden übrigens so geplant und gebaut, dass für das selbe Lehrgerüst verwendet werden konnte. Sicher eine gute Entscheidung hinsichtlich der schweren Zugänglichkeit. Was für unvollstellbare Anforderungen an die Bauleute!
Was für eine Baustelle! Das Lehrgerüst über die tiefe Cavagliasco-Schlucht wird nun zum zweiten Mal verwendet, es überspannt den Einschnitt mit einem 'in Bahnaxe darüber führenden Dienstweg'.
Über diesen wird auch der talseitige Tunnel (links) erreicht.
Wegen des schlechten Gesteins mussten die Fundamente der Brücken bis zu 12 Meter tief verankert werden. Was sich so einfach schreibt, hiess in Wirklichkeit strapazierendste Handarbeit in schwierigstem Gelände.
Quelle: SBZ 1912
Auf diesem schönen Abzug sieht man, dass das Gerüst der unteren Cavagliasco Brücke bereits im Abbau ist. Weiter oben im Tal ist das andere Bauwerk zu erkennen. Es ist davon auszugehen, dass zuerst die obere Brücke gebaut worden ist.
Die zwei Herren besprechen in aller Ruhe, wie genau das Geländer montiert werden soll...
Die Vergrösserung zeigt uns deutlich eine der Dampflokomotiven, welche für den Bau der Berninabahn verwendet wurden. Sie stammten ursprünglich von der Birsigtalbahn und wurden von der Firma Buss & Co. für den Bau der Berninabahn angeschafft.
Der talseitig anschliessende Lehnenviadukt über eine Runse aus losem Material.
Die kurzen Baudampfloks leisten wichtige Hilfe beim Materialtransport zu dieser nur über steile Fusswege erreichbaren Baustelle.
Quelle: SBZ
Hier wird die ganze Komplexität der Situation erfasst - der Kehrtunnel und die obere Brücke und Tunnel sind genauso anspruchsvoll.
Die Spuren des Baus sind nun beseitigt und 18 Jahre später sieht die Umgebung schon ganz 'natürlich' aus. Ab 1928 rollten die Speisewagen der Mitropa über die Berninastrecke.
Fotozug auf der oberen Cavagliasco-Brücke (Cavagliasco sopra)
Der bekannte Fotograf Albert Steiner hatte immer wieder Auftragsarbeiten für die Rhätische Bahn und die Berninabahn zu erledigen. Hier musste er den Bernina Schnellzug fotografieren, der mit seinen modernen Wagen - inzwischen mit Faltenbälgen versehen - eine luxuriöse Verbindung zwischen St. Moritz und Tirano bediente. Die Wagen glänzen noch von ihrem Umbau und der Neulackierung her.
Ganz auf der Brücke und bereits im Tunnel die beiden Mitropa Speisewagen B4 161/162 (später RhB 3813/3814) dahinter der C4 152 (später RhB 2234 und 1171 Star[c]kes Stück)
Vermutlich wurde er mit seiner schweren Ausrüstung nach der unteren Cavagliasco Brücke ausgeladen, damit er dann den Zug auf der oberen Brücke fotografieren konnte. Leider ist die Serie nicht (mehr) komplett, denn sicher hat er auch die Lok, die extra für diesen Zug umgebaute Ge 4/4 81, auf dieser Brücke fotografiert - auf anderen Fotos, die bei der wahrscheinlich gleichen Gelegenheit an anderer Stelle gemacht wurden, ist die 81 prominent mit-abgebildet.
Nach der zweiten Überquerung der Cavagliasca Schlucht folgt die Berninalinie kontinuierlich der Bergflanke und baut in Richtung Poschiavo laufend Höhe ab.
Perle! Äusserst seltene Karte von der Südrampe. Gut sichtbar ist die lange Steigung, welche der Zug im Vordergrund zurückgelegt hat. Oberhalb ist die Gegensteigung nach Cadera gut sichtbar.
Eine Karte aus der ganz frühen Zeit: Die Wunden, welche der Bau der Bahn in die Natur geschlagen hat, sind gut sichtbar. Ein Witz also, wenn verklärte Romantiker behaupten, dass die BB schonungsvoll in die Landschaft eingebettet wurde!
Irgendwie stimmt jedoch etwas an der Perspektive dieser Karte nicht, der Triebwagen und die Gleisachse sind nicht übereinstimmend, der erste Wagen schaffts auch nicht ganz.
Gleiche Aufnahme mit kleinerem Ausschnitt. Die Proportionen stimmen deshalb nicht besser....
Auf der Rückseite entpuppt sich die Postkarte als Werbeträger für die Firma Brown Boveri. Diese hat Alioth im Jahr 1911 übernommen und den Standort Münchenstein bis in die 1970er-Jahre erhalten.
Text des Absenders: "Menschenskind, wo bleibt das Kochungeheuer? Morgen Inspektion auf Rüsler bei Speck und Most. Auf Dein Wohl ein spezielles. Albert
...und... Versuchr bitte bei Schucan eine Fotogr. v. Andreas zu erhalten
Armer Berggenosse"
Haltestelle Privilasco (RhB)
Von 1954 bis 2017 existierte die RhB Haltestelle Privilasco, welche sich nicht weit vor der Station Poschiavo befand. Sie diente den Leuten aus San Carlo und Privilasco.
Erst fast ein Jahr später wurde das einfache Häuschen, dessen schlichte Architektur typisch für die 50er-Jahre war, von einem Bagger abgebrochen (29.10.2018)
Eine sehr seltene Karte aus dem Puschlav: Sie zeigt die letzten 500 Meter der langen Gefällsfahrt, welche in Cavaglia begonnen hat...
...und im Detail die Anlagen des Bahnhofs Poschiavo. Leider ist sie postalisch nicht gelaufen, denn es ist nicht einfach, sie ohne profunde Ortskenntnisse einzuordnen: Von der Druckqualität und Machart würde sie gut in die ganz frühen Tage der BB passen.
Hinweise nehme ich immer gerne entgegen.
Das markante weisse Gebäude oben links ist übrigens der Direktionssitz der Kraftwerke Brusio.
weiter nach Poschiavo